Super(wo)man gesucht

Seit einigen Tagen erreichen mich wieder Anfragen, in denen nach technischen Projektleitern gesucht wird. Aber was soll das sein, ein "technischer Projektleiter"? Die an die Anfragen angehängten Anforderungsprofile helfen meist nicht wirklich weiter. Neben einer Auflistung technischer Skills finden sich darin Fähigkeiten, die der Ersteller des jeweiligen Profils als Projektmanagement-Skills versteht und die sich oft in der Erstellung von Aufgaben- und Zeitplänen sowie dem Nachverfolgen von Aufgaben erschöpfen.

Mich lassen solche Anfragen immer etwas ratlos zurück. Was will man damit erreichen? Frage ich bei den suchenden Unternehmen nach, dann heißt es meist, dass man einen erfahrenen Technikspezialisten mit guten Projektmanagementfähigkeiten sucht, praktisch eine Eierlegende Wollmilchsau. Einen Kandidaten zu finden, der diese Erwartungen erfüllt, ist so wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto.

Dass es solche Anfragen gibt liegt meines Erachtens daran, dass in vielen Unternehmen ein falsches Verständnis von Projektmanagement herrscht. Projektmanagement ist sich eben nicht nur das Erstellen von Zeitplänen und das Nachverfolgen von Aufgabenlisten. Vielmehr gleicht ein Projekt einem Unternehmen, und der Projektmanager ist dessen CEO:



• Zunächst müssen Zweck und Ziele des "Projektunternehmens" definiert werden. Warum soll das Projekt durchgeführt werden? Welche Ergebnisse werden erwartet und warum hilft das Projekt dem Unternehmen? Das alles wird zusammen mit einem ersten Zeitplan und einer Schätzung des erforderlichen Budgets im Rahmen eines Business Cases (Projektantrag, Project Initiation Document oder ähnlichem) dokumentiert.
• Mit dem Business Case gilt es nun, das Management von der Notwendigkeit des Projektes zu überzeugen und es zur Bereitstellung des notwendigen Budgets zu bewegen, ganz wie bei der Investorensuche eines Start-Ups.
• Hat das Management dem Projekt zugestimmt und stehen die finanziellen Mittel zur Verfügung wird in einem nächsten Schritt das Projekt in die Lage versetzt, die Ziele zu erreichen. Es werden weitere Teammitglieder akquiriert, Pläne detailliert, organisatorische Voraussetzungen geschaffen und Prozesse etabliert, und anschließend konzentriert sich das ganze Team darauf, entsprechend der Planungen die Projektergebnisse zu liefern.
• Abschließend gehört es noch zur Aufgabe des Projektmanagers, das Projekt abzuschließen, sobald alle Ziele erreicht wurden.



Als CEO des Projektes ist der Projektmanager von der Gründung bis zur Auflösung für das Projekt verantwortlich und jederzeit rechenschaftspflichtig gegenüber Auftrag- und Geldgebern. Dass ein Mitarbeiter, dessen Expertise die Technik ist, nebenbei auch die Rolle des CEO bzw. Projektmanagers zufriedenstellend ausfüllen kann, ist sehr unwahrscheinlich.



Auch ein Blick in etablierte Projektmanagementmethoden kann helfen, Projektmanagement zu verstehen. So listet das Project Management Institut (PMI) neun Domänen des Projektmanagements auf: Integrationsmanagement, Scope-Management, Zeitplanmanagement, Kostenmanagement, Qualitätsmanagement, Risikomanagement, Ressourcenmanagement, Beschaffungsmanagement und Kommunikationsmanagement. Hier wird schnell klar, dass es sich um einen Fulltime-Job handelt und es nicht mit Zeitplänen und Aufgabenlisten getan ist.



Wenn ein Unternehmen von einem (externen) Mitarbeiter, dessen Leidenschaft in technischen Themen liegt, erwartet, dass er sich mit gleichem Herzblut den Projektmanagementaufgaben widmet, erliegt nicht nur einer Fehleinschätzung der Aufgaben, sondern überfordert auch den Mitarbeiter. Trotzdem bin ich sicher, dass Unternehmen weiterhin technische Projektleiter suchen werden, weil man meint, durch die Kombination zweier Rollen Geld zu sparen. Nun, aus meiner Erfahrung als Projektsanierer kann ich sagen, dass diese Rechnung nicht aufgeht.