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Die Rettung agiler Projekte

Michael Nickl • Sept. 01, 2020

Bei agilen Projekten gehört ein mögliches Scheitern zur Methode. Sind "Projektretter" damit überflüssig?

Ich kann mich sehr gut daran erinnern, als ich vor vielen Jahren – damals noch als Mitarbeiter von Hewlett Packard – zu einem Kunden geschickt wurde, der mit dem Verlauf eines IT Projektes sehr unzufrieden war. Der Auftrag, den mir mein Chef mitgegeben hat, war: „Versuche, das Projekt wieder in geordnete Bahnen zu lenken.“ Obwohl ich mit der Sanierung von Projekten zum damaligen Zeitpunkt noch keine Erfahrung hatte, habe ich es dennoch irgendwie geschafft, das Projekt einige Monate später erfolgreich abzuschließen. HP machte im Anschluss noch viele gute Geschäft mit diesem Kunden.


In der Folgezeit habe ich eine Leidenschaft für die Rettung Not leidender Projekte entwickelt und habe im Jahr 2009 sogar mein eigenes Business gegründet, um Unternehmen besser bei der Sanierung ihrer Projekte helfen zu können. Seit einiger Zeit werde ich nun aber immer häufiger mit der Frage konfrontiert, ob denn Projektsanierung überhaupt noch zeitgemäß sei. Schließlich gäbe es jetzt ja agile Methoden, die wesentlich flexibler seien, so dass es doch kaum noch zu Schieflagen in IT Projekten kommen könne. Erst vor wenigen Tagen erschien dazu auch ein Artikel in der Fachzeitschrift CIO, in der der Autor behauptet, dass sich mit den Einsatz agiler Methoden das Risiko eines gescheiterten Projektes vermeiden ließe. Ist also mein Geschäftsmodell in Gefahr?


Es ist richtig, dass sich mit agilen Projektmanagementmethoden vieles verändert hat. Gerade das aufwendige Requirements Engineering und die zeitintensiven Planungsphasen von Wasserfallmethoden können mit dem Einsatz agiler Methoden vereinfacht und stark verkürzt werden. Das fortlaufende Kundenfeedback erlaubt es zudem, auf Fehlentwicklungen schnell zu reagieren, noch bevor ein Projekt in größere Schwierigkeiten gerät. Auch der in Wasserfallmethoden erforderliche Change-Prozess kann weitgehend entfallen. All das trägt dazu bei, dass agile Projekte schneller Ergebnisse liefern und flexibler gesteuert werden können. Agiles Projektmanagement wird deshalb auch oft als Allheilmittel angesehen. Dabei wird jedoch übersehen, dass auch agile Methoden Schwachstellen besitzen.


  • In agilen Methoden stehen Individuen und Interaktion über Prozessen und Werkzeugen, d.h. der Mensch steht im Fokus und der direkte Austausch ist wichtiger als Formalismen. Um das zu erreichen, sollen agile Teams idealerweise nicht größer als 7 Personen sein, welche dann auch noch räumlich möglichst eng zusammensitzen und -arbeiten sollen. Die meisten Projekte brauchen aber wesentlich mehr als 7 Personen, so dass mehrere Teams gebildet werden müssen. Damit diese nahtlos zusammenarbeiten können, bedarf es erneut einer übergeordneten Struktur und Regeln (Prozesse) für die Zusammenarbeit. Je mehr Spezialisten also an einem Projekt beteiligt sind, desto mehr wird man sich vom agilen Ideal entfernen und potentielle Fehlerquellen implementieren.
  • Die geforderte räumlich enge Zusammenarbeit ist gerade in Zeiten von Covid-19 problematisch. Selbst Tools wie Microsoft Teams, Slack und Trello können auf Dauer den echten persönlichen Austausch nicht ersetzen.
  • Für agile Teams ist es wichtiger, sich um die Erledigung einer Aufgabe zu kümmern, als die Zeit mit Dokumentation und Präsentationen zu verbringen. Aber spätestens, wenn Sprintergebnisse wiederholt nicht den Erwartungen des Auftraggebers entsprechen, wird der Ruf nach Ursachenanalysen und detailliertem Projektreporting laut. Fehlen dann die entsprechenden Aufzeichnungen, gerät das Projektteam schnell in Erklärungsnot.
  • Der Kunde nimmt in agilen Projekten eine zentrale Rolle ein, er ist Teil des Prozesses, mit seinen Bedürfnissen und Problemen sogar immanenter Teil des Teams. Was aber, wenn Mitarbeiter sich dazu nicht in der Lage sehen oder gar nicht intensiv involviert werden wollen? Wer mitspricht und sich einbringt übernimmt auch Ergebnisverantwortung. Gerade bei kritischen Projekten und solchen, die im Unternehmen große Aufmerksamkeit genießen, fühlt sich nicht jeder Mitarbeiter mit einer Rolle im Projekt wohl.
  • Die Flexibilität agiler Methoden ist ein wichtiges Asset, mit dem sie sich von den vermeintlich schwerfälligen Wasserfallmethoden unterscheiden. Agile Teams sind auf ein Ziel fokussiert, weichen aber auch vom eigentlichen Plan ab, wenn es für das Team, die Organisation und den Kunden sinnvoll. Dabei wird schnell übersehen, dass das Abweichen vom Plan i.d.R. auch Auswirkungen auf die Projektkosten und die Projektlaufzeit hat, und gerade, wenn die Kosten einen Schwellenwert überschreiten, muss man damit rechnen, dass Auftraggeber und Sponsor Einfluss auf das Projekt nehmen werden – nicht immer im Sinne agiler Teams.


Genau wie bei Wasserfallmethoden kann man nicht davon ausgehen, dass agile Methoden lehrbuchmäßig umgesetzt werden können. Damit wird deutlich, dass auch sie genügend Potential bieten, um ein Projekt ernsthaft in Schwierigkeiten zu bringen. Auch wenn das mögliche Scheitern von Projekten Teil agiler Methoden ist (Stichwort "Fail Fast"), werden Unternehmen nur begrenzt akzeptieren, dass ihre Investitionen in agile Projekte verloren gehen. Aus diesem Grund bin ich mir sicher, dass es auch weiterhin den Bedarf an Spezialisten geben wird, die in der Lage sind, Projekte wieder auf den Erfolgspfad zurückführen.


Photo by Sebastian Grochowicz on Unsplash

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