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Großprojekte aus dem Home Office leiten

Michael Nickl • Okt. 26, 2020

Mit den richtigen Strukturen gelingen IT Projekte selbst im Corona-Lockdown

„Home Office“ und „Remote Work“ sind seit Beginn der Corona-Pandemie in aller Munde, für mich ist das alles jedoch nichts Neues. Schon 1999, als ich bei Hewlett-Packard (HP) als Projektleiter zu arbeiten begann, konnte ich tageweise von zu Hause arbeiten. Trotzdem habe ich es lange Zeit vorgezogen, zusammen mit meinen Teams in Projektbüros bei meinen Kunden vor Ort zu sein. Dafür habe ich auch viele Dienstreisen auf mich genommen.


Im November 2017, also gut zwei Jahre bevor Corona die halbe Republik ins Home Office gezwungen hat, sollte sich das jedoch ändern. Zu dieser Zeit habe ich zusammen mit der matrix technology AG die Boston Consulting Group (BCG) als Kunden gewonnen. Mein Auftrag war die Planung und Durchführung eines Programms zur Modernisierung der in die Jahre gekommenen Server-Infrastruktur in 107 Büros der BCG in 41 Ländern. Dazu wurde mir ein Projektteam zur Seite gestellt, das auf Standorte in den USA, Europa, Indien und Asien verteilt war. Lediglich der Lead Architekt hatte sein Büro in Deutschland. Da es kein Budget für projektbezogene Reisen gab, musste das Programm vollständig remote durchgeführt werden. Selbst die monatlichen Steering Committee Meetings mit dem Auftraggeber und Sponsor in den USA fanden während der gesamten Projektlaufzeit ausschließlich als Webex-Konferenzen statt.


Damit ein solches Projekt gelingen kann, müssen andere Strukturen geschaffen werden als bei einem herkömmlichen Projekt.


Kommunikation

Zunächst steht die Wahl eines Videokonferenz-Tools an. Gerade dann, wenn am Projekt mehrere Unternehmen mitarbeiten, braucht man unternehmensübergreifend nutzbare Lösungen. Rein interne Videokonferezsysteme, zu denen man sich von außerhalb des Kundenunternehmens nicht einwählen kann, helfen hier nicht weiter. Auch reine Telefonkonferenzen, also ohne Video der Teilnehmer, sollten nur im Ausnahmefall stattfinden. Der Grund dafür ist einfach: bei reinem Audio gehen visuelle Informationen verloren. Dadurch wird es zum einen schwieriger, wichtige Nuancen in der Kommunikation zu erkennen. Zum anderen ist es bei reinen Audiokonferenzen schwer, eine persönliche Beziehung aufzubauen. Aspekte, die bei der Wahl des richtigen Tools zu berücksichtigen sind, sind die Verfügbarkeit an den einzelnen Standorten (insbesondere, wenn es sich um ein Projekt mit internationalem Team handelt), Datenschutzregeln, die einzuhalten sind, und die Einfachheit der Bedienung.


Dateiablage und File-Sharing

Wie bei der Kommunikation muss man auch bei der Wahl eines Systems zur Dateiablage und dem File-Sharing darauf achten, dass es sicher und von überall problemlos erreichbar ist. Dabei muss man die Datensicherheit besonders im Auge haben, gerade bei cloudbasierten Systemen. Automatische Dokumentenversionierung und Co-Authoring, also die Möglichkeit des gleichzeitigen Arbeiten mehrerer Personen an einem Dokument, sind mittlerweile nicht mehr nur „nice-to-have“, sondern erleichtern das Arbeiten in der Gruppe enorm.


Projektsprache und -arbeitszeit

Während die Wahl der Projektsprache in internationalen Teams meist schnell getroffen ist, kann es wesentlich herausfordernder sein, Zeiten für die Projektarbeit und -kommunikation festzulegen, vor allem wenn Teams global verteilt arbeiten. Die Abbildung zeigt, wie es in dem Projekt bei der BCG gelöst wurde.

Von wechselnden Kernzeiten, um zum Beispiel im ersten Monat den Kolleginnen auf den Philippinen die Arbeit zu erleichtern und einen Monat später den Kollegen in den USA, rate ich dabei ab, da durch den ständigen Wechsel große Verwirrung entstehen kann.


Meeting-Zeitplan

Überaus wichtig ist es, einen festen Zeitplan für Regel-Meetings und Abstimmungen festzulegen und penibel einzuhalten. Hier sollte innerhalb kürzester Zeit eine Routine entstehen und den Beteiligten ins Blut übergehen.


Spontaner Austausch zwischen Kollegen

Da man in einem zeitlich eng getakteten Projekt mit Fragen nicht immer bis zum nächsten Regelmeeting warten kann, haben wir mit Slack eine weitere Kommunikationsinfrastruktur etabliert. Hier wurden Kanäle und Gruppen je nach Zweck und Projektrolle definiert (z.B. die Gruppen „Project Management“ und „Infrastructure Replacement“) und im Rahmen von Einzel- und Gruppenchats Informationen ausgetauscht. Aber auch die „Call“-Funktion von Slack wurde häufig genutzt. Natürlich gibt es weitere Tools, die einen ähnlichen oder sogar größeren Funktionsumfang besitzen (z.B. Microsoft Teams), bei der BCG jedoch war Slack das Werkzeug der Wahl.


Project Cockpit und Dashboards

Als weiteres Mittel zur Informationsbereitstellung wurde mit Hilfe von Microsoft Sharepoint ein Project Cockpit und verschiedene Dashboards erstellt und täglich aktualisiert. Somit konnte sich jedes Teammitglied stets einen Überblick über den aktuellen Stand und Fortschritt des Projektes verschaffen.


Engagement, Strukturen und Kommunikation sind die Erfolgsfaktoren

Das Projekt wurde im Juli 2020 schließlich erfolgreich abgeschlossen und gilt als großer Erfolg. Neben der Informationstransparenz und der intensiven Kommunikation war das Engagement des Projektteams ein weiterer Erfolgsfaktor. Gerade die asiatischen Teams mussten aufgrund der unterschiedlichen Zeitzonen oft bis in die Morgenstunden arbeiten, taten dies aber ohne Murren und stets mit hervorragenden Ergebnissen. Aber auch das Steering Committee hatte einen großen Beitrag am Erfolg des Projektes, da es immer für kreative Lösungen in schwierigen Situationen, die es auch in diesem Projekt gab, offen war und die erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt hat.


Dieses Projekt ist ein gutes Beispiel dafür, dass es keinen Grund gibt, IT Projekte während der Pandemie auf die lange Bank zu schieben und nicht zu starten. Damit würde man wertvolle Zeit vergeuden. Selbst internationale Großprojekte können vom Home Office aus geleitet und erfolgreich umgesetzt werden, wenn man  die richtigen Rahmenbedingungen schafft und mit Engagement und Disziplin dabei bleibt.

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