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Der Stakeholder-Eisberg

Michael Nickl • Feb. 15, 2021

Ein Großteil der Stakeholder eines Projektes sind nicht auf den ersten Blick als solche zu erkennen. Sie zu ignorieren, wäre fatal.

Stakeholder Management ist eine wichtige Aufgabe für jeden Projektmanager. Das Ziel ist es, allen von einem Projekt betroffenen Personen die Wichtigkeit des Projektes zu erläutern und die Projektziele zu vermitteln, sowie die Anforderungen der Stakeholder zu verstehen und um deren Unterstützung zu werben. Der Projektleiter wird dadurch zum Diplomaten, Lobbyisten und Politiker in eigener Sache. Seine Aufgabe ist es auch, alle relevanten Stakeholder zu identifizieren.


Zunächst sind da in der Regel Auftraggeber und Projekt-Sponsor. Dazu kommen, abhängig von Art und Größe des Projektes, das Programm-Management, IT-Security, der fachliche Vorgesetzte des Projektleiters, die Betriebsleitung, eventuell der Betriebsrat, und dann natürlich die operativen Teams, die aktiv im Projekt mitarbeiten. Doch mit Stakeholdern verhält es sich wie mit einem Eisberg, bei dem sich 70 % unter der Wasseroberfläche befinden. Viele Stakeholder sind auf den ersten Blick nicht als solche erkennbar, und dennoch haben sie großen Einfluss auf das Gelingen eines Projektes.


Da sind zum einen die fachlichen Vorgesetzten der Projektmitarbeiter. Manchmal versuchen diese, über ihre Mitarbeiter Einfluss auf das Projekt auszuüben, um eigene Initiativen voranzutreiben. Die zweite Gruppe versteckter Stakeholder sind jene Personen, die direkt von den Projektergebnissen betroffen sind, zum Beispiel die späteren Anwender einer Software. Zwar sollen deren Interessen durch offizielle Vertreter im Projekt berücksichtigt werden, aber gerade, wenn das Projekt sehr viele Mitarbeiter betrifft, ist es nahezu unmöglich, allen individuellen Interessen gerecht zu werden. Dabei wäre es ein großer Fehler zu glauben, ein einzelner Mitarbeiter hätte keinen Einfluss auf ein Projekt. Schon ein geschickt platziertes Gerücht über einen angeblich schlechten Projektverlauf kann erhebliche Zweifel schüren, was wiederum viel Aufwand auf Seiten der Projektleitung erzeugt, das Ansehen des Projektes geradezurücken. Eine dritte Stakeholder-Gruppe, die man nicht übersehen sollte, sind externe Dienstleister und Lieferanten. Wer schon einmal in der Situation war, für ein Projekt spezielle Hard- oder Software einkaufen zu müssen, kennt das Gerangel der Lieferanten hinter den Kulissen. Hier versuchen findige Vertriebsmitarbeiter auf die Geschäftsführung, den Einkauf oder die Fachabteilung einzuwirken, damit sich das Projekt für ihr Produkt und nicht für das des Wettbewerbers entscheidet. Doch selbst, wenn die Software dann gekauft wurde, ist mit der Einflussnahme nicht Schluss, denn wenn ein Unternehmen erst einmal einen Fuß in der Türe hat, wird es versuchen, weitere Produkte zu platzieren.


Noch sind wir nicht am Ende der Liste möglicher Stakeholder angekommen, selbst wenn die Beispiele nun zugegebenermaßen sehr speziell werden. Es gibt Projekte, an denen ein öffentliches Interesse besteht. Als Beispiele seien die Entwicklung der Corona Warn-App genannt, der Bau des Berliner Flughafens oder, schon ein paar Jahre her, die Entwicklung des Autobahn-Maut-Systems. Spätestens wenn ein solches Projekt nicht läuft wie geplant, ruft das die Medien und deren Berichterstattung auf den Plan. Und immer, wenn öffentliche Gelder involviert sind, gibt es auch die Interessen der Politik, die ihre eigenen Ziele verfolgt und ihre eigene Klientel zu bedienen versucht.


Natürlich werden Projektmanager nur selten mit ihrer Arbeit in der Öffentlichkeit stehen. Wie schnell man jedoch unversehens in eine derartige Situation geraten kann, musste ich vor einigen Jahren selbst erfahren. Inmitten des Trubels der Finanzkrise leitete ich ein Projekt bei der Hypo Real Estate (HRE), jener Bank, die in Deutschland von der Finanzkrise am stärksten betroffen und deshalb in den deutschen Medien dauerpräsent war. Die HRE hatte zu diesem Zeitpunkt entschieden, neue und günstigere Büros am Münchener Stadtrand zu beziehen, um die eh schon negative Berichterstattung abzumildern. Seitens der IT war ich für den Umzug von 1.200 Arbeitsplätzen verantwortlich, und über Wochen wurde ich, wie alle anderen Mitarbeiter der HRE auch, am Haupteingang von einem Tross Medienvertreter empfangen, die nur zu gerne mehr über das erfahren wollten, was intern vor sich ging. Doch hier wurde das Stakeholder Management an anderer Stelle betrieben, und darüber war ich sehr froh.


Stakeholder Management steht nicht immer gleich Mittelpunkt, wenn man von Projektmanagement spricht. Dennoch ist es enorm wichtig für das Gelingen eines Projektes. Projektmanager, die sich auf diesem Parket nicht wohl fühlen, haben es schwer. Auch ich wollte zu Beginn meiner Karriere nicht jedem mehr oder weniger Beteiligten aufwendig erklären müssen, warum wir ein Projekt durchführten. Schließlich wurde es von der Unternehmensführung genehmigt und das sollte doch ausreichen, um von den einzelnen Stellen im Unternehmen die notwendige Unterstützung zu erfahren. Heute weiß ich, dass es ohne Netzwerken, Diplomatie und Verhandlungsgeschick nicht geht.


Foto: Hubert Neufeld on uansplash.com


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