Vor mehr als zehn Jahren habe ich eine Veranstaltung des Project Management Instituts (PMI) in München besucht, bei der es um ein Thema ging, das neu war und für ziemlich viel Aufregung in der Projektmanager-Community sorgte: „Agiles Projektmanagement“. Niemand wusste damals so recht, um was es dabei eigentlich geht. Deshalb war ich gespannt zu erfahren, was denn dahintersteckt.
Was in der Veranstaltung des PMI erzählt wurde, brachte mich zum staunen. Augenblicklich versuchte ich mir vorzustellen, wie agiles Projektmanagement meine Arbeit beeinflussen wird. Trotz der vielen positiven Impulse, die ich durch den Vortrag erhielt, war mir allerdings nicht klar, wie man ein Projekt budgetieren soll, bei dem aufgrund der Agilität schwer vorauszusehen ist, welche Inhalte bis zu welchem Zeitpunkt geliefert werden. Schließlich entscheidet sich mit jedem Sprint aufs Neue, womit sich das Projektteam in den nächsten Wochen beschäftigt. Noch rätselhafter erschien mir die Frage, wie man als externer Dienstleister agile Projekte anbieten soll. Auf welcher Basis kann ein seriöses Angebot erstellt werden, ohne dass Auftraggeber auf der einen noch Auftragnehmer auf der anderen Seite ein schwer zu kalkulierendes Risiko eingehen?
Als ich dann vor einigen Wochen zu Gast bei der Allianz AG war und mir deren Erfolge mit agilem Projektmanagement ansah (siehe meinen Newsletter vom Juni 2018), musste ich natürlich bei den Teams nachfragen, wie sie das Problem der Budgetierung gelöst haben. Meine Frage schien sie zunächst zu irritieren. Man sagte mir, dass man für jedes Release vorab mit dem Auftraggeber Key Performance Indikatoren (KPI) vereinbart habe, die die Teams erreichen mussten, um anschließend Gelder für das nächste Release zu erhalten. Auf meine Nachfrage, ob man denn KPIs auch mal verfehlt und welche Auswirkungen das auf das freigegebene Budget gehabt habe, hieß es, dass es auch dann, wenn es mal nicht so lief wie geplant, nie negative Auswirkung auf die Höhe der zur Verfügung gestellten Mittel gegeben hätte. Niemand musste sich für die Finanzen seines Projektes rechtfertigen und es gab immer ausreichend Geld. Echtes Budgetmanagement, so wie man es von klassischen Projektmanagementmethoden kennt: Fehlanzeige.
Das deckt sich auch mit meinen Erfahrungen, die ich an anderer Stelle gemacht habe. In agilen Projekten, insbesondere wenn es sich um sogenannte „interne“ Projekte handelt, spielt Budgetierung und Finanzmanagement eine weit geringere Rolle als bei Projekten, die nach klassischer Methode durchgeführt werden. Für agile Projekte scheint in vielen Firmen Geld im Überfluss vorhanden zu sein. Wahrscheinlich ist die Angst, bei der Digitalisierung ins Hintertreffen zu geraten, der Treiber, der die Unternehmen veranlasst, großzügig finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Dazu kommt, dass man durch die schon mehrere Jahre anhaltend gute Konjunktur genügend Geld verdient hat, um sich auf agile Abenteuer einlassen zu können. Was aber wird geschehen, wenn sich die Konjunktur abkühlt und die Gewinne nicht mehr so sprudeln wie in den vergangenen Jahren? Was, wenn die Unternehmen zum Sparen gezwungen werden? Wird man dann noch immer großzügig in agiles Trial-and-Error investieren oder wird man finanzielle Tugenden wieder stärker betonen? Würde das das Aus für viele agile Projekte bedeuten, weil Unternehmen dann wieder die vermeintliche Planungssicherheit klassischer Methoden bevorzugen?
Bitte nicht falsch verstehen, ich bin durchaus ein Befürworter agilen Projektmanagements. Ich glaube allerdings auch, dass trotz der vielen Jahre, in denen es agiles Projektmanagement gibt, noch immer Fragen unbeantwortet sind, bei denen sich in klassischen Projektmanagementmethoden längst Standards etabliert haben. Gerade was die Finanzierung und Budgetierung agiler Projekte angeht, werden sich sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer mit einem höheren Risiko anfreunden müssen. Damit erkauft man sich die größere Flexibilität und die kürzeren Reaktionszeiten, die agile Projekte auszeichnen. Und ob eine rückläufige Konjunktur tatsächlich weitreichende Auswirkungen auf die Bereitschaft der Unternehmen hat, in agile Projekte zu investieren, wird sich zeigen - wahrscheinlich früher, als uns lieb ist.