Vor einigen Tagen habe ich ein Chapter-Meeting des Project Management Instituts besucht. Wie alle Chapter-Meetings wurde auch dieses von einem Unternehmen gesponsert, diesmal durch die Allianz Deutschland. Als Gegenleistung für die zur Verfügung gestellten Räume und das Catering durfte die Allianz ihre Fortschritte bei der Transformation ihrer IT hin zu einer agilen Organisation vorstellen. Als ich vor zwei Jahren selbst ein Projekt für die Allianz leitete, unternahm sie diesbezüglich gerade die ersten zögerlichen Schritte - und hatte damit ihre liebe Mühe. Deshalb war ich besonders gespannt darauf, was sich seitdem geändert hat.
Zwei Stunden und drei Vorträge später war ich wirklich beeindruckt. Die Allianz scheint es ernst zu meinen und die erreichten Erfolge sind beachtlich. Die Vorträge waren interessant, praxisnah und haben anschaulich dargestellt, wie es selbst einem Großkonzern gelingen kann, ein Unternehmen hin zu mehr Agilität zu transformieren.
Ein Punkt, der von allen Referenten als wichtiger Erfolgsfaktor herausgestellt wurde, war das Thema „Co-Location“. In der agilen Welt versteht man darunter, dass alle Projektbeteiligten gemeinsam an einem Ort in einem (Großraum-) Büro arbeiten, abgeschirmt von projektfremden Einflüssen wie dem Tagesgeschäft. Damit soll eine hocheffiziente Kommunikation zwischen den Teammitgliedern ermöglicht werden. Außerdem will man so gewährleisten, dass sich die Mitarbeiter ohne Ablenkung auf die Projektarbeit konzentrieren können. Die Allianz hat dafür gleich zwei neue Standorte in München eröffnet, einen in der Nähe des Hauptbahnhofs und einen weiteren im Werksviertel, dort wo auch eine Reihe Startups ansässig sind.
Mein erster Gedanke beim Thema Co-Location war „Das ist doch ein alter Hut“. Zu Beginn meiner Beratertätigkeit war es schließlich ganz normal, dass das Projektteam an den jeweiligen Projektstandort reist, um dort zusammen mit allen anderen Beteiligten in einem gemeinsamen Büro arbeiten. Das galt sowohl für die eigenen Mitarbeiter der Kunden, die von anderen Standorten anreisten, als auch für externe Berater. Niemand wäre auf die Idee gekommen, „remote“ von einem andern Standort oder gar von Zuhause aus mitzuwirken, und in jedem Lessons Learned Meeting nach Projektende wurde eben dieses Arbeiten an einem gemeinsamen Ort als besonders wichtig für den Projekterfolg herausgestellt. Also was ist neu an „Co-Location“?
Nach kurzem Nachdenken ist mir dann aufgefallen, dass es in den vergangenen Jahren immer schwieriger wurde, Kunden von einem gemeinsamen Projektbüro zu überzeugen. Gründe, die immer wieder ins Feld geführt werden, sind:
- Das Reisen der Projektmitarbeiter zum Projektstandort erzeugt hohe Kosten, Kosten, die die Kunden nicht bereit sind zu übernehmen.
- Auch die Kosten für das Projektbüro selbst, dessen Einrichtung und Betrieb, schreckt viele Kunden ab.
- Reisen stellt eine erhebliche Belastung der Mitarbeiter dar, die unter der Woche von ihren Familien und Partnern getrennt sind.
- Die heute zur Verfügung stehende Technik (Telefon- und Videokonferenzsystems, Instant-Messaging und Kollaboration-Tools wie „Slack“, Cloud-Lösungen etc.) erlaubt eine enge Zusammenarbeit auch über große Entfernungen.
- Wegen der entstehenden Emissionen belastet das Reisen die Umwelt, was nicht zum grünen Image passt, das sich viele Unternehmen gerne geben.
In der Tat ist es so, dass ich in den letzen vier Jahren kaum noch zum Kunden gereist bin, weil es einfach nicht mehr zeitgemäß ist. Mein aktuelles Projekt wäre gar nicht möglich, müsste das Team wöchentlich an einen gemeinsamen Ort kommen, denn die Spezialisten sind über mehrere Kontinente verteilt.
Kommt jetzt mit der agilen Transformation also die Rolle rückwärts?
Ich bin der Meinung, dass es stark vom Charakter des jeweiligen Projektes abhängt, ob es sinnvoll ist, gemeinsam in einem Büro zu arbeiten oder verteilt über mehrere Standorte. „Co-Location“ eignet sich vor allem, wenn es sich um überschaubare Teams handelt und die Mitglieder tatsächlich an einem Standort beheimatet sind. Größere Teams mit Mitstreitern an vielen Standorten hingegen werden gar nicht anders können als in virtuellen Teams zu arbeiten.
Das wurde auch durch die Referenten der Allianz bestätigt. Auf meine Nachfrage hin haben sie eingeräumt, dass es sich in ihren Projekten um eher kleine Teams handelte (maximal 12 Mitarbeiter) und man das Glück hatte, die jeweiligen Experten in München gefunden zu haben, was kein Wunder ist, denn München ist weltweit der Allianz Standort mit den meisten Mitarbeitern. Bei einer so großen Auswahl ist die Wahrscheinlichkeit hoch, die notwendigen Spezialisten vor Ort zu finden.
"Co-Location - ja oder nein“ ist dabei nur eine von vielen Fragen, die sich Unternehmen stellen müssen, wenn sie sich mit dem Thema „Agile Transformation“ beschäftigen. Häufig stürzen sich Firmen hier in ein Abenteuer, ohne sich klar zu sein, was auf sie zukommt. Treten Probleme auf, beginnen sie oft, Rosinenpicken betrieben und nur noch die Veränderungen voranzutreiben, die leicht und mit möglichst wenig Widerstand umzusetzen sind, anstatt sich mit agiler Arbeitsweise ernsthaft auseinanderzusetzen. Ergebnis sind dann sogenannte hybride Organisationen, die weder agil noch klassisch sind - und selten besser.
Trotzdem wird uns das Thema „Agile Transformation“ noch eine Weile begleiten. Warum es damit aber schnell zu Ende sein kann, sollte es der deutschen Wirtschaft einmal nicht mehr so gut gehen, wird Thema meines Juli-Newsletters sein.