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Rettungseinsatz

Michael Nickl • Apr. 08, 2019

Was Notärzte und Projektsanierer gemeinsam haben  

Vor einigen Tagen habe ich einen Herren kennengelernt, der seit vielen Jahren als Notarzt tätig ist. Wie es bei einem ersten Treffen so üblich ist, unterhält man sich hauptsächlich über das, was man beruflich macht. Ich wusste schon ungefähr, wie der Arbeitsalltag eines Notarztes aussieht, da ein guter Freund von mir ebenfalls Arzt ist. Meinem Gegenüber dagegen war mein Beruf vollkommen unbekannt. Also habe ich ihm erzählt, was ich so mache. Dabei schien er sich inbesondere dafür zu interessieren, was es bedeutet, Not leidende IT Projekte zu sanieren.

Nachdem ich mit meinen Ausführungen am Ende war, meinte er „Da haben wir ja einiges gemeinsam“. Ich habe erst mal gestutzt und ihn gefragt, wie er das denn meine. „Schauen sie“, antwortete er, „genau so wie ich werden auch sie gerufen, wenn eine Notsituation herrscht. Über die Situation selbst haben sie zu diesem Zeitpunkt nur wenig Informationen. Trotzdem muss es jetzt sehr schnell gehen und das Überleben der Unfallopfer - oder in Ihrem Fall des Projektes - hat allerhöchste Priorität.“

Ich habe zunächst geantwortet, dass ich mir nie anmaßen würde, meinen Job mit dem eines Notarztes zu vergleichen, der tagtäglich Menschenleben rettet. Aber ganz unrecht hatte mein Gesprächspartner nicht, auch wenn wir auf ganz unterschiedlichem Niveau arbeiten.
  • In beiden Berufen ist die Prioritätenlage klar. Oberstes Ziel ist die Auflösung der Notsituation, alles andere muss sich dem unterordnen. Im Projektkontext heißt das, dass sich das gesamte Unternehmen entsprechend ausrichten muss. Leider ist das aber häufig nicht der Fall. Stattdessen werden Prioritäten täglich neu verteilt, je nachdem wer gerade am lautesten um Hilfe ruft. In so einem Fall darf getrost daran gezweifelt werden, ob es das Unternehmen mit der Rettung des Projektes ernst meint.
  • In einer Notsituation kommt es auf die Geschwindigkeit an, mit der geholfen wird. Häufig ist es so, dass bei einem Not leidenden Projekt schon ein-, zweimal der Projektleiter ersetzt wurde, bevor sich der Auftraggeber entschließt, einen Spezialisten zu beauftragen. Obwohl ich das gut verstehen kann - welches Unternehmen geht schon gerne in die Welt hinaus und verkündet, dass es Projekte hat, die es nicht in den Griff bekommt - verliert man so wertvolle Zeit. Zeit, die der Spezialist dann nicht mehr zur Verfügung hat. Jeder Tag, der vergeht, bedeutet zusätzliche Kosten und gefährdete Timelines. Deshalb erwarten die Auftraggeber meist eine schnelle Verbesserung der Situation. Doch auch hier muss klar sein, eine echte „Genesung“ erfolgt nicht innerhalb kurzer Zeit. Stattdessen ist es das Ziel, den Zustand des Projektes erst einmal zu stabilisieren im Sinne von „es wird nicht schlechter“. Die anschließende „Heilung“ und „Rehabilitation“ dagegen wird einige Zeit in Anspruch nehmen. 
  • Dass ein „weiter so“ ein Projekt nicht retten wird, ist klar. Stattdessen müssen Entscheidungen getroffen und Maßnahmen umgesetzt werden, die dem ein oder anderen als übertrieben erscheinen mögen. Meint man es aber ernst mit der Projektrettung, gibt es kaum Tabus. Erinnern wir uns, das Projekt befindet sich in einer Notsituation und es muss sich schnell etwas ändern! Jetzt muss auch der Auftraggeber bereit sein, unbequeme Entscheidungen zu treffen und umzusetzen. Auch mein Gesprächspartner, der Notarzt, muss immer wieder drastische Maßnahmen in Betracht ziehen, um Menschenleben retten zu können. Ist ein Unfallopfer zum Beispiel in seinem Wagen eingeklemmt, bleibt dem Arzt oft nichts anderes übrig, als eine Amputation am Unfallort in Erwägung zu ziehen, um die Person befreien und damit deren Leben retten zu können.
  • Genau so wie ein Arzt an einer Unfallstelle nicht alleine erfolgreich sein kann - er wird unterstützt von Notfallsanitätern, die ihm assistieren, Polizisten, die die Unfallstelle absichern, Feuerwehrmannschaften, die Personen befreien usw. - genauso wenig kann ein Projektleiter alleine ein Projekt retten. Auch hier ist ein eingespieltes Team notwendig, in dem jeder weiß, was er zu tun hat. Überhaupt scheint es der am weitesten verbreitete Irrtum zu sein, dass man nur den Projektleiter wechseln müsse und dann würde schon alles gut werden. Ein Projekt ist kein Fußballverein, bei dem man nur den Trainer austauschen muss, um den Klassenerhalt zu sichern (auch das funktioniert meist nicht).
Ich habe noch lange über das Gespräch mit meinem neuen Bekannten nachgedacht. Und in einem Punkt unterscheiden sich unsere Professionen dramatisch: im IT Projektmanagement geht es nicht um Leben und Tod, und darüber bin ich sehr froh.

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